Getting Tough – The Race: Was nicht tötet, härtet ab…- oder mein Erlebnisbericht!
Crossläufe sind für meinen Sportverein, dem Sportclub Laage Laage, nichts Neues. Auch die Teilnahme an Hindernisläufen hat es bereits das eine oder andere Mal gegeben. Eines ist jetzt jedoch neu: die Teilnahme am härtesten Hindernislauf Europas – im Jahr 2016 war der Sportclub Laage dabei.
“Was nicht tötet, härtet ab…” erscheint auf den ersten Blick eine ziemlich abgedroschene Floskel zu sein. Für den einen oder anderen Läufer oder die eine oder andere Läuferin wurde es jedoch zu einem unerlässlichen Mantra - für mich auf jeden Fall.
Getting Tough – The Race oder auch „die Hölle von Rudolstadt“: 24Kilometer, 1000 Höhenmeter und etwa 160 Hindernisse (auch die Veranstalter haben wohl irgendwann aufgehört zu zählen), das sind die Eckdaten der Veranstaltung. Das Rennen wurde dieses Jahr zum fünften Mal durchgeführt und erreichte einen absoluten Anmelderekord: während sich 2012 ganze 600 Leute anmeldeten, lag die Anmeldungszahl 2016 bei fast 4000. Letztendlich starteten dann 3200 Frauen und Männer, am 03. Dezember 2016, um 10:00 Uhr, den Lauf in einem Massenstart. 3200 Frauen und Männer, die den Mut hatten, sich einem solchen Event zu stellen und den Willen haben, durchzukommen.
Bereits die Ankunft auf der „Festwiese“, auf der allein über 50 Hindernisse aufgebaut waren, ist ein Event für sich. Für das Wohl aller Zuschauer war mit Wüstchenbuden, Knoblauchbrot und Getränkeständen gesorgt. Die Läufer waren stattdessen im großen Festzelt zu finden, um die letzten Minuten in der Wärme auszunutzen. Bei minus fünf Grad Celsius auch kein Wunder. So wurde die beeindruckende Rede des Organisators „des Kallinator“ gelauscht. Im Anschluss an die motivierenden Worte waren wir bereit alles zu tun, die Kälte war vergessen, die vielen Kilometer erschienen uns weniger lang und wie schlimm kann schon das Wasser sein? Wird schon nicht so schlimm sein – dachten wir.
Zu Beginn erwartete uns eine 200m Kriechgasse, die wir auf allen Vieren durchgleiten mussten. Bereits an dieser Stelle schwankte die eben noch eingetrichterte Motivation bedenklich, immerhin war die Wiese gefroren und die Knie protestierten das erste Mal. Aber was sind schon 200m, ist doch schnell geschafft und zu Beginn des Laufs waren wir ja noch fit und spritzig. Das folgende Hindernis nahm mir jegliche Illusion: zwei etwa 4m breite Wassergräben, die es zu durchwaten galt. Hier machten die Frauen und Männer das erste Mal Bekanntschaft mit dem kalten Wasser, das aus dem angrenzenden Fluss, der Saale, in den Graben umgeleitet wurde. Und jeder wusste: das war nur der Anfang. Heftig durchnässt, begann eine längere Laufstrecke die ersten Höhenmeter hinauf. Einfach nur laufen wäre jedoch auch langweilig, also musste ein Slalom bezwungen werden. Mehrere Abhänge hinauf und wieder hinunter. So weit, so gut. Natürlich wäre so ein Lauf nichts ohne Eskaladierwände. Insgesamt galt es 35 Wände zu überwinden, bereits bei Kilometer 2 standen die ersten. Und schon stellte sich das erste wirkliche Problem heraus: die Wartezeit. Plötzlich stand das Teilnehmerfeld um uns herum. Der Grund waren die ersten, besagten Eskaladierwände in Verbindung mit zu vielen Läufern. Ein Haufen zitternder, durchnässter und am ganzen Körper schlotternder Läufer stand still. Dennoch: die Laune war gut und man versuchte sich mit lustigen Sprüchen („könnte schlimmer sein, könnte regnen“) aufzumuntern. Erneut folgte ein Slalom, bergauf – bergab, während ein Autoreifen zu tragen war. Hier galt äußerste Vorsicht, immerhin war es glatt und der eine oder andere war mit Sommerreifen unterwegs.
Jetzt folgte eine längere „Laufphase“ die vielen Höhenmeter hinauf durch den Thüringer Wald. Wer konnte, genoss die Aussicht auf das dann tiefer gelegene Rudolstadt. Eine weitere Station war die in Rudolstadt ansässige Papierfabrik, die es sich nicht hatte nehmen lassen drei Papierpyramiden aufzustellen, dann waren zumindest die Höhenmeter fast geschafft. Nach einem letzten Anstieg ging es richtig los. Ganze 20 Kilometer und etwa 15 Hindernisse hatten wir hinter uns gebracht. Das was nun folgte, lässt sich ganz gut in einem Wort zusammenfassen: kalt. Bei einer Außentemperatur von etwa minus fünf Grad Celsius musste ein Wassergraben durchwatet werden. Tiefe: 1,30m, Länge: 250m. Vier Sanitäter in Neopren-Tauchanzügen überwachten das Vorhaben. Nicht jeder konnte diese Erfrischung wirklich genießen. Immerhin hat es meine Beine davon abgelenkt zu krampfen. Wahrscheinlich waren sie nur noch damit beschäftigt die Körpertemperatur wieder herzustellen. Damit das Wasser etwas vom Körper ablaufen konnte, folgte im Anschluss das Überwinden der „Sturmkampfbahn“. Diese bestand aus mehreren Betonhindernissen, die es zu überklettern oder zu durchkriechen galt. Im Anschluss daran folgte ein 400m Rundkurs bei dem große Baumstämme überwunden werden mussten. Damit dies nicht allzu einfach wurde, hatten die Läufer einen Sandsack zu tragen. Ich glaube dieser sollte eigentlich 2Kg wiegen, während des Laufens habe ich jedoch sehr schnell festgestellt, dass auch 2Kg ganz schön schwer werden können. Was folgte, rechtfertigte den Namen „die Hölle von Rudolstadt“. Weil das Durchwaten des Wassergrabens noch nicht dazu führte, dass der Kopf unter Wasser getaucht wurde, kamen nun folgende Hindernisse ins Spiel: Zunächst hatte das THW Baucontainer mit Wasser befüllt und ein Brett so angebracht, dass die Aktiven durch tauchen mussten. Auch das sollte es noch nicht gewesen sein. Nächste Station: das Freibad. Bei einer Wassertiefe von 1,30m hätte das Bad theoretisch ebenso wie der Wassergraben durchwatet werden können. Aber das wäre ja viel zu einfach. Also wurden acht Baumstämme auf das Wasser gelegt, die durchtaucht werden mussten. An dieser Stelle erinnere ich noch einmal an die Außentemperatur von minus fünf Grad. In meinem Kopf herrschte ein einziger Gedanke: kalt, kalt, kalt, kalt, kalt, kalt. Die motivierenden Worte der Einstiegsrede des Kallinators waren völlig vergessen. Hilfesuchend schaute ich die Rettungstaucher an, die neben uns Stellung bezogen hatten, jedoch auch nur unverständlich den Kopf schüttelten. Wie einfach sah dieses Hindernis noch von dem Sofa aus, als man sich Videos aus den letzten Jahren anschaute. Wird schon nicht so schlimm sein – dachte ich. Viele Läufer mussten an dieser Stelle leider aufgeben. Zu guter Letzt folgte dann noch der „Walk of fame“. Der letzte Kilometer, an dem sich Hindernis an Hindernis reihte. Autowracks, Panzer, Reifenstapel, Stromhindernisse, Betonblöcke, die beliebten Eskaladierwände, Eiswassercontainer und Holzwände von einer Höhe über 8m sind nur einige Beispiele. Hier war vor allem Teamgeist gefragt. Während die schnellsten und besten Läufer die Hindernisse alleine überwinden mussten, um zur „Getting Tough Elite“ zu gehören, galt es für den Rest der Läufer helfen wo immer man kann. Egal, ob klein oder groß, schwer oder leicht, Frau oder Mann, jeder half jedem. Immer gab es helfende Hände, die sich zu Räuberleitern formten, oder Knie, die zum Draufsteigen angeboten wurden. Nicht selten kamen diese Hände auch aus den Reihen der Zuschauer. Und dann 24 Kilometer und einige Stunden später war es geschafft. Während viele Läufer eine gewisse Zeit vor Augen hatten, die sie erreichen wollten, ging es für einige auch „nur“ ums Ankommen. Ich denke, jeder der die Ziellinie überschritten hat, kann stolz auf sich sein, das Rennen bezwungen zu haben.
Nicht zu vergessen sind auch die vielen Helfer, die vor Ort waren. Nicht nur Sanitätspersonal oder das gern gesehene Team vom THW haben tatkräftig unterstützt, um zum Gelingen des Events beizutragen. Um alle Hindernisse termingerecht und so sicher wie möglich aufbauen zu können, waren mehrere Firmen vor Ort. So genannte „Marshalls“ standen über die Strecke verteilt als Posten und überwachten die Läufer oder betrieben Verpflegungsstände. Und ganz besonders eindrucksvoll waren Zuschauer, die völlig selbstlos in der Kälte standen, und Hilfe und Unterstützung anboten. Während der Durchquerung des Dorfes UNTERPREILIP passierten alle Läufer einen Getränkestand, an dem warmer Tee und warmes Wasser angeboten wurde. Die Familie macht dies seit mehreren Jahren und ist für die Läufer bereits zu einem Zwischenziel geworden „Gleich gibt’s warmen Tee!“, das habe ich auf den Kilometern vor UNTERPREILIP mehrfach gehört. Wenige Kilometer später hatten sich ein paar ältere Damen zusammengefunden und Tee und Sekt angeboten. Dies in Verbindung mit all den anfeuernden und jubelnden Menschen am Rand machte das Rennen zu einem unvergesslichen Event.
Von 3200 Startern haben 2401 Läufer die Ziellinie überquert. Der älteste Läufer ist im Jahr 1953 geboren, der jüngste 1999. Teilnehmer unter 18 mussten sowohl eine Erlaubnis ihrer Erziehungsberechtigten als auch ein ärztliches Attest vorzeigen, das bescheinigte, dass sie körperlich gesund genug sind. Erwachsene Teilnehmer hatten es etwas einfacher und mussten lediglich die „Death Warranty“ – den Haftungsausschluss unterschreiben. Darin heißt es unter anderem „[…], dass ich im Falle von Schädigungen (auch durch Stromhindernisse) keinen Anspruch gegenüber dem Veranstalter habe…“ oder „Ich bin mir bewusst, dass ich mich aufgrund der Witterung Gefahren aussetze, die lebensbedrohend sein können.“ So haben die Läufer bereits vor dem Start ein gutes und sicheres Gefühl. Getting Tough – The Race… Bereits der Name sorgt schon für Respekt. Der ist auch angebracht, immerhin hat der Extremlauf in Rudolstadt den Anspruch, der härteste Lauf Europas zu sein. Und dennoch ist das Gesicht der Zieleinläufer immer ein lächelndes und spätestens nach einer warmen Dusche waren die Schultern eines jeden Läufers und einer jeden Läuferin ein paar Zentimeter breiter. Und das zu Recht!!
Lea Halfmann
Oberleutnant und Stabszugführer beim Taktischen Luftwaffengeschader 73 "S"
Das Foto zeigt Oberleutnant Lea Halfmann.
Foto: privat
Bild zur Meldung: Das Foto zeigt Oberleutnant Lea Halfmann.